Gaza, Ukraine, Libanon: Weltweit toben in mehr als 25 Staaten der Welt Kriege oder bewaffnete Konflikte. Kriegerische Ereignisse rufen bei fast allen Menschen, die sie erleiden müssen, traumatische Reaktionen hervor. Bevölkerungsgruppen, die infolge von Behinderung, Krankheit oder sonstigen Gründen auf Hilfe anderer Menschen angewiesen sind, leiden unter den Kriegsfolgen in besonderer Weise. Zu den vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen gehören Kinder und Jugendliche.
Weit über 420 Millionen Kinder leben gegenwärtig in Kriegs- und Konfliktregionen. Das sind fast doppelt so viele wie vor hundert Jahren. Sie leiden an Angst, Unterernährung, fehlendem Trinkwasser, Krankheiten und medizinischer Unterversorgung. Abertausende Kinder werden in kriegerischen Konflikten getötet. Allein im Gaza sollen nach einer Studie des „Community Training Centre for Crisis Management“ (NGO im Gaza), der „Dutch Relief Alliance“ und der „War Child Alliance-UK“ mehr als 44000 Todesopfer zu beklagen sein, davon 44% Kinder. 17000 Kinder wurden von ihren Eltern getrennt. Sie leben jetzt unbegleitet im Gaza. 60% der Kinder im Gaza erlebten Mehrfachtraumatisierungen. Die Ergebnisse sind schockierend: 92% der Kinder leiden unter Realitätsverlust, 79% haben nächtliche Alpträumen, 73% zeigen aggressives Verhalten. Zu den weitere Symptome, die in der Studie angeführt sind, gehören: Essstörungen, Angststörungen, Schlafstörungen, Depressionen, Verhaltensveränderungen, Beziehungsstörungen, Regressionen, unerklärliche körperliche Schmerzen. 96% der Kinder leben im Gaza im Gefühl ständiger Todeserwartung, 49% sehnen sich nach Erlösung durch den Tod.
Kindern und Jugendlichen wird durch die existentielle Bedrohung und den kriegsbedingten Verlust der gewohnten Alltagsstruktur sowie des familiären Beziehungsgefüges die Geborgenheit eines Entwicklungsschutzraumes geraubt, den sie für ihr physisches, psychisches und mentales Gedeihen dringend benötigen. Sie verlieren oft alles, was für ihre Entwicklung erforderlich wäre: ihre Spielsachen, ihr eigenes Bett, ihr geliebtes Haustier, ihr Zuhause und oft auch ihre Familie. Über 27 Millionen Kinder und Jugendliche ist gegenwärtig ein Schulbesuch auf Grund der bewaffneten Konflikte verunmöglicht.
Kriege zählen zu den häufigsten Fluchtursachen. Die Mehrzahl der minderjährigen, oft unbegleiteten Flüchtlinge stammen aus Kriegsgebieten oder Regionen, in denen kriegerische Konflikte ausgetragen werden. Häufig erleben diese Kinder und Jugendliche bereits vor ihrer Flucht Formen extremer Gewalt. Viele sind kriegs- und fluchttraumatisiert.
Das Thema „Kinder im Krieg“ ist aber nicht nur im klassischen Sinne zu verstehen. Kinder können auf vielfältige Weise kriegsähnliche Zustände erleben. Sie erfahren extreme Gewalt z.B. auch in Bandenkriegen oder in häuslichen Verhältnissen.
Nach Johan Galtung, norwegischer Soziologe, Friedens- und Konfliktforscher, muss neben der physischen Gewalt, zusätzlich auch seelische, strukturelle und kulturelle Gewalt ins Auge gefasst werden, um das Ausmaß der Traumatisierungen zu erfassen.
Worum handelt es sich bei Kriegs- und Fluchttraumata? Welche psychischen Folgen haben Gewalterfahrungen für Kinder und Jugendliche? Welche altersspezifischen Reaktionen sind zu erwarten? Wie können Kindern und Jugendlichen notfall- und traumapädagogisch bei der Verarbeitung ihrer oft furchtbaren Erlebnisse unterstützt werden?
Diese drängenden Themen und Aufgabenstellungen sollen in Vorträgen und Workshops in der Notfallpädagogischen Jahrestagung bearbeitet werden, zu der ich Sie herzlich einladen möchte.
Vom 20.06.-22.06.2025 fand zu dieser Thematik die Notfallpädagogische Jahrestagung 2025 mit etwa 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 24 Nationen im Parzival-Zentrum Karlsruhe statt.
Neben dem Fortbildungsaspekt dient das jährliche Treffen der Notfallpädagoginnen und Notfallpädagogen auch der Einführung von Interessierten in die Konzeption anthroposophischer Notfall- und Traumapädagogik. Außerdem ist die Tagung ein „Familienfest“, auf dem sich Notfallpädagogen und Notfallpädagoginnen aus aller Welt begegnen und austauschen können.
Auf vielfachem Wunsch soll in diesem Newsletter ein fotografischer Rückblick auf die Notfallpädagogischer Jahrestagung 2024 erfolgen.
1. Vorprogramm am 20.06.2025
Traditionell fand vor der Tagungseröffnung eine Einführungsveranstaltung in die Konzeption, Methoden und Settings der Notfallpädagogik statt. Fiona Bay sprach zum Thema: „Wenn nichts mehr ist, wie es vorher war“:
2. Tagung
2.1 Eröffnung am 20.06.2025
Zum musikalischen Auftakt der Tagung spielten Anja Leiser und Lailya Kuperschmidt ein Bourée aus der 3. Violincello-Suite von J.S.Bach:
Danach eröffnete Bernd Ruf, geschäftsführender Vorstand von „Notfallpädagogik ohne Grenzen“, die Jahrestagung 2025:
Frau Melanie Reveriego, Schulleiterin am Parzival-Zentrum und Beirätin von „Notfallpädagogik ohne Grenzen – international“, begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung im Namen des gastgebenden Zentrums:
2.2 Vorträge
Den einleitenden Vortag (20.06.2025) mit dem Titel „Krieg-Gewalt-Traum – Das Leid der Kinder ist unermesslich. Wie Notfallpädagogik kriegs- und gewalttraumatisierte Kinder bei der Bewältigung ihrer Erlebnisse unterstützen kann.“ hielt Bernd Ruf:
Am Abend folgte der Berliner Notarzt und ehemalige Präsident von „Ärzte ohne Grenzen“ Dr. Tankred Stöbe mit dem Thema: „Kinder im Krieg. Ärztliche Hilfe für Kinder in Kriegsregionen“:
Die Tagung wurde am 21.06.2025 durch Dr. Rim Mouwad, Dozentin an der Amerikanischen Universität in Beirut und einer heilpädagogischen Bildungseinrichtung mit dem Vortrag "Step together– Notfallpädagogik im Libanon" fortgesetzt, gefolgt von einem Bericht von Ahmed Alghariz über "Notfallpädagogik im Gaza".
Den Abendvortrag hielt Dr. Adolfo Gonzales Hadad, leitender Chirurg der Universitätsklinik in Cali/Kolumbien zum Thema „Der tägliche Krieg. Gewaltprävention bei Jugendlichen im Gangmilieu“
Den Abschlussvortrag zur Jahrestagung 2025 hielt Annette Horster-Schepermann, Psychologin, Psychotherapeutin, Dozentin an der Alanus-Hochschule, Alfter Mitbegründerin und fachliche Leiterin des ISIS-Instituts in Hamburg. Sie sprach zum Thema „Wenn ich ein weißes Pferd hätte … Fallvignette aus der Pentagramm-Traumatherapie zum transgenerationalen Leid nach Krieg, Vertreibung und Genozid“:
2.3 Berichte aus der internationalen Arbeit der Notfallpädagogik
Am Samstagnachmittag Berichte aus der internationalen Arbeit der Notfallpädagogik.
Ida Oberman, Lisl Hofer, Rosa Balderrama und Amy Joy Allahdadi von Notfallpädagogik ohne Grenzen – USA, gaben einen Einblick in die Akutinterventionen nach der Überschwemmung in Ashville und der Brandkatastrophe in Los Angeles:
Stefanie Allon berichtete über die Interventionen in Israel:
Danach erfolgten die Aufnahmen neuer Länderteams in den Verbund „Notfallpädagogik ohne Grenzen – international“ durch Unterzeichnung eines „Memorandum of Understanding“:
1. Ägypten durch Isra Hegab
2. Australien durch Lisa Divine
3. Austria durch Samuel Schober (per Zoom)
4. Italien durch Fabrizio Alphen
5. Niederlande durch Jocelin Roy, Francis Maris
6. Türkei durch Cansu Kaygisiz
7. Ukraine durch Olg Shtefan
Im Verbund „Notfallpädagogik ohne Grenzen“ vereinigen sich damit Notfallpädagogische Länderteams aus 34 Staaten der Erde.
Zum Abschluss dieses Sitzungsabschnittes sprach Micaela Sauber, Geschichtenerzählerin und Mitgründerin von „Erzähler ohne Grenzen“, über die Bedeutung von „Story-Telling“ und von „Healing-Stories“.
2.4 Workshops
Neben den Vorträgen wurden während der Tagung auch Workshops angeboten.
Heidi Wolf und Diana Tessari gestalteten kunsttherapeutische Workshop:
Anna Böhmig hielt einen Workshop zu musiktherapeutischen Ansätzen der Notfallpädagogik
Ein weiterer Workshop zur Kunsttherapie wurde von Silyia Burau angeboten:
Kordula Bott führte in die Methoden der traumabasierten Theaterpädagogik ein:
Regina Nabrotzky gestaltete einen „Rhythmus-Workshop:
Ein Workshop zur Erlebnispädagogik wurde von Jorge Schaffer angeboten:
Sandra Grether bot einen Workshop zum Einsatz von Tieren in der Traumapädagogik an:
2.5 Plenum und Verabschiedung
Die Jahrestagung 2025 wurde am Sonntag, 22.06.2025 mit einer Plenumsveranstaltung mit anschließender Verabschiedung beendet. Den Beitragenden und den Helferinnen und Helfern hinter den Kulissen der Tagung wurde dabei herzlich gedankt:
Verdankung der Workshopleitungen
2.6 Anfangs- und Abschlusskreise
Der morgendliche Beginn und der abendliche Ausklang wurde mit Anfangs- und Abschlusskreisen begangen:
2.7 Fotografische Eindrücke zwischen den Beiträgen
Genauso wichtig wie die Tagungsinhalte sind für das Gelingen der Tagung die Pausen. Sie boten Gelegenheit zum gegenseitigen Sich-Kennenlernen, zum inhaltlichen Austausch und Gespräch:
3. Rahmenprogramm
Für die internationalen Gäste wurde die Jahrestagung 2025 von einem Kulturprogramm umrahmt.
3.1 Besuch des Karlsruher Schlosses und des Modellbaus in Malsch am 20.06.2025
Vor Beginn der Tagung besuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Karlsruher Schloss, dem Geburtsort von Kaspar Hauser:
Anschließend erfolgte eine Exkursion zum Modellbau in Malsch. Dort hatte 1909 einer der späteren Gründungslehrer der Waldorfschule Stuttgart, Karl Stockmeyer, zusammen mit seinem Vater, einen von Rudolf Steiner skizzierten Bau errichtet, für den Rudolf Steiner am Ostermontag 1909 den Grundstein legte:
3.2 Exkursion zur Insel Reichenau am 22.06.2025
Im Nachprogramm der Tagung besuchten die internationalen Gäste die Insel Reichenau mit seiner keltischen Mysterienstätte:
Besucht wurde auch das Kloster mit der Johanneskapelle und dem Grab der Odilia:
Auch die Einweihungsgräbern des Templerordens auf dem Odilienberg wurden besichtigt:
Die Besuchergruppe in der St. Georgskirche bei Betrachtungen des 1000-jährigen Freskenzyklus
Anschließend die Stiftskirche in Andlau mit dem mutmaßlichen Schädel des Lazarus besucht.
Mit einem gemeinsamen Abendessen im Restaurant „Strandbad“ klang die Jahrestagung 2025 dann endgültig aus. Es war in jeder Hinsicht ein Ereignis!